Ein Arsch in weiß -

Ok, ganz ruhig, bloß nicht aufregen. Meine beste Freundin Pia hat mich soweit wieder flott gekriegt, als dass ich nicht mehr permanent wie ein Schlosshund heulen muss. Hauptsächlich mit Umarmungen und gutem Zureden. Sie war tatsächlich innerhalb von 3 Minuten, fast zeitgleich mit mir bei der WG. Ob sie bei meinem Geheule am Telefon überhaupt verstanden hat was los ist, wage ich zu bezweifeln.

Weil Geheule bei mir aber genauso selten vorkommt wie hierzulande Schnee an Weihnachten, hat sie richtig kombiniert, sofort in den "Freundin-in-Not" Modus geschalten und ist hergeeilt.

Außerdem, und das war wahrscheinlich am wichtigsten, hat sie mir neugierige Mitbewohner und Schulkollegen vom Hals gehalten. Schließlich wollen alle wissen, wieso ich die letzten beiden Stunden nicht im Unterricht war. Ganz klar, ein fieser Magen-Darm.Virus hat mich von jetzt auf gleich niedergeknüppelt.

Fürs erste haben das alle geschluckt und ich hab meine Ruhe. Und kann mich darauf besinnen, meine aktuell anstehenden Problemberge durchzudenken...

Da wär zum Einen mein Freund, dessen Leben ich mit einer Hammer-Message in Kürze auf den Kopf stellen werde. Der Arme, er ahnt noch nicht mal was von seinem (Vater-)Glück.

Zum anderen, und diesen Punkt werde ich mir als erstes vorknöpfen, ist da der Termin beim Gynäkologen. Schließlich will ich wissen, woran ich bin, bzw. wie weit ich bin. Und vor allem, wie weit ich mit meiner Ausbildung noch komme, bevor ich Mutter werde.


Weil ich mich gefühlt in einer echt akuten Notlage befinde, vereinbare ich erst gar keinen Termin, sondern rausche kurzerhand gleich zum empfohlenen Arzt. Dieser so genannte Experte für Frauenheilkunde und Geburtshilfe war leider ein kompletter Griff ins Klo. Aber so richtig.

Dieser seltsame Mann stellt mir erst mit auffälligem Desinteresse einige Fragen. Bei jeder meiner Antworten kommt sein "ach so" mit unüberhörbar ironischem Unterton. Keine Ahnung, wo sein Problem liegt. Oder besser gesagt, warum er sich so seltsam und abfällig benimmt.

Wie es halt so ist, muss ich natürlich noch eine Untersuchung über mich ergehen lassen. Auf dem Bildschirm neben mir sehe ich es wieder. Tatsächlich kann ich es ganz deutlich erkennen. Wie ein großes Gummibärchen mit klopfendem Herzen. Wahnsinn. Die Gehirnregion, die für die Kategorie "Mutterinstinkt" zuständig ist, leistet innerhalb eines Sekundenbruchteils ganze Arbeit. Mein kompletter Körper, geflutet mit Hormonen, die er bis dato nicht kannte reagiert auf dieses kleine Wesen auf dem Monitor.

Wobei, so klein ist dieses Menschlein schon gar nicht mehr. Stolze drei Zentimeter, um genau zu sein und somit mit freiem Auge problemlos erkennbar. Auch meine Freundin starrt wie gebannt auf den Bildschirm und ist sichtlich geflasht von der jetzt absolut real wirkenden Tatsache: Das ist ganz eindeutig ein Baby.

Ich kann mich nicht daran erinnern, jemals zuvor ein derartiges Chaos von Gefühlen erlebt zu haben. Da ist auf der einen Seite diese vollkommene Glück über dieses ungeborene Kind, dass ich ab der ersten Sekunde felsenfest in mein Herz geschlossen habe und das ich ab sofort wie eine Löwin beschützen würde. Andererseits fallen mir so viele andere Dinge ein, so viele unglaublich groß erscheinende Probleme. Meine Ausbildung, das Geld, mein Freund, mein Vater...Ich weiß, diese Schwangerschaft bringt neben dem Glücksgefühl (so ein Mutterinstinkt ist schon der Hammer) auch eine Sorgenlawine ins Rollen, der ich mich aktuell kaum gewachsen fühle.

Und anscheinend will dieser so genannte Arzt sogleich der Erste sein, der mir das Leben ein bisschen schwerer macht.

Er betrachtet mich kurz mit abfälligem Blick, wendet sich dann ab und sagt: "Wissen Sie, von wem es ist?" Und ohne meine Antwort abzuwarten legt er nach: "Überlegen Sie sich, was sie tun wollen, eine Woche haben Sie noch Zeit."

Wow, das nenne ich mal Schwangerschaftsberatung auf höchstem Niveau. Ich weiß jetzt schon, dass es mir noch Jahre danach leid tun wird, ihm nichts geantwortet zu haben. Pia und ich sind bei dieser Ansage förmlich aus den Latschen gekippt und stiefeln mit offenem Mund raus, einfach nur raus aus diesem Laden.

"Was für ein Idiot, was für ein bescheuertes Arschloch!" Soweit die Meinung meiner Freundin, ich hätte es kaum besser formulieren können.

Aber gut. Dieser menschliche Vollversager, wollte mir wahrscheinlich einfach nur sagen, dass es nicht einfach wird, eine junge Mutter zu sein.

Wir werden sehen, ob er recht behält.

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veröffentlicht am 03.07.2018 von Radiergummi
geändert am 29.04.2020 von Radiergummi



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